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Aktuelles

22.05.2014 Trennung des Kindes von den Eltern

Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern als stärkster Eingriff in das Elternrecht unterliegt strenger verfassungsgerichtlicher Kontrolle. Die Trennung ist nur zu dem Zweck zulässig, das Kind von nachhaltigen Gefährdungen zu schützen, und darf nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen. Dabei sind sowohl an die Kindeswohl- als auch an die Verhältnismäßigkeitsprüfung spezifische Anforderungen zu stellen, wenn die Sorgerechtsentziehung hinsichtlich eines bereits in einer Pflegefamilie untergebrachten Kindes in Streit steht, dessen Rückführung die Ursprungseltern zu sich begehren.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 22.5.2014, Aktenzeichen 1 BvR 2882/13

03.12.2013 Fehlerhaftes Handeln des Nachbehandlers

Verursacht – erst – der nachbehandelnde Arzt jenen Schaden, den der Patient maßgeblich rügt, stellt sich häufig die Frage, ob dieser Schaden dem Erstschädiger überhaupt noch zurechenbar ist. Im zugrunde liegenden Falle hatte der Beklagte dem Kläger vorsätzlich einen Kniestoß in den Genitalbereich versetzt, wodurch dessen linker Hoden verletzt wurde. Der diese Verletzung behandelnde Arzt riet dem Kläger – behandlungsfehlerhaft – die Entfernung des Hodens an, weil er das durch den Stoß verursachte Hämatom fälschlich als bösartigen Tumor fehl deutete. Mit seiner Klage verlangte der Kläger vom Beklagten ein angemessenes Schmerzensgeld, bei dessen Bemessung auch der medizinisch nicht indizierte Verlust seines Hodens zu berücksichtigen sei. Im vorliegenden Fall bestätigt das OLG die restriktive Rechtsprechung des BGH, wonach erst schwerste Fehler des Nachbehandlers einen im Übrigen adäquat-kausalen Zusammenhang enden lassen – und zwar selbst dann, wenn die Erstschädigung wie hier gar nicht auf eine ärztliche Fehlbehandlung zurückgeht. Im Hinblick auf die zuvor erfolgte Verletzung des Klägers hätte eine Entfernung des Hodens nicht ohne eine vorherige pathologische Untersuchung des Gewebes nach einem Schnellschnitt erfolgen dürfen. Dieser Fehler könne auf der Grundlage der weiteren Ausführungen des Sachverständigen jedoch nicht als solcher bewertet werden, bei dem im Sinne der oben dargelegten gefestigten Rechtsprechung in außergewöhnlich hohem Maße die an ein gewissenhaftes ärztliches Verhalten zu stellenden Anforderungen außer Acht gelassen und gegen alle ärztlichen Regeln und Erfahrungen verstoßen worden sei. Ein Arzt, dem dieser Fehler unterlaufe, wäre vielmehr auch in seinem Zuständigkeitsbereich – so der Sachverständige – nicht entlassen worden.

Oberlandesgericht Hamm, Entscheidung vom 03.12.2013, Aktenzeichen 9 U 69/13

13.11.2013 Klage gegen Arzt-Vergütungen erfolgreich

Eine Klage der Gesetzlichen Krankenkassen Sachsen-Anhalts gegen einen Schiedsspruch des Landesschiedsamts über die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung der ambulanten vertragsärztlichen Leistungen im Jahr 2013 ist überwiegend erfolgreich gewesen. Nach Auffassung des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalts verstößt der Schiedsspruch wegen der sockelwirksamen Erhöhung um jährlich 4% gegen gesetzliche Vorschriften. Die Revision wurde zugelassen. Nach dem Schiedsspruch sollte der Behandlungsbedarf sockelwirksam um 12%, verteilt auf jeweils 4% in den Jahren 2013 bis 2015, angehoben werden. Eine Erhöhung um weitere 2,6931% sollte wegen der Veränderungsrate gegenüber 2012 erfolgen. Dies hätte zu einer deutlichen Erhöhung der Vergütung der niedergelassenen Ärzte geführt. Zwar sei das Bedürfnis nach einer Veränderung der Vergütungsstruktur der kassenärztlichen Honorierung nachvollziehbar. Nach § 87a Abs. 4 SGB V dürften bei der Anpassung des Behandlungsbedarfs aber nur die Veränderungen im Vergleich zum Vorjahr berücksichtigt werden. Unzulässig sei hingegen eine Basiserhöhung, um eine seit 2009 bestehende ungünstige Morbiditätsstruktur auszugleichen. Auch die weitere Erhöhung um 2,6931% war laut Gericht rechtswidrig. Diese habe sich entgegen § 87a Abs. 4 Satz 3 SGB V allein an den Behandlungsdiagnosen der Ärzte und nicht auch an demokrafischen Kriterien wie Alter und Geschlecht orientiert. Insoweit sei ein neuer Schiedsspruch zu erlassen.

Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13.11.2013, Aktenzeichen L 9 KA 4/13 KL.

05.11.2013 Beweislastumkehr bei Befunderhebungsfehler

Im der Entscheidung des Bundsgerichtshofs zugrunde liegenden Falle stürzte ein damals etwa zwei Jahre alte, heute rund 20-jährige Kläger am 27.07.1996 mit einem Plastiklöffel im Mund derart unglücklich, dass er sich eine Pfählungsverletzung im Rachenraum zuzog, wegen derer seine Mutter ihn in der die Gegenseite darstellenden Klinik vorstellte, wo er stationär aufgenommen wurde. Wie sich anhand einer Röntgenaufnahme zeigte, entwickelte er vier Tage später eine Entzündung sowie einen Abszess im Rachenraum, wegen derer er in eine Universitätsklinik verlegt wurde, wo der Abszess noch am selben Tag entfernt wurde. In der Folgezeit stellte man eine Schädigung des zentralen Nervensystems fest. Der Kläger leidet seitdem an einem irreversiblen hypoxischen Hirnschaden, der sich u.a. in gesteigerter Reizoffenheit niederschlägt, in einer Geh- und Gesichtsfeldstörung, einer Sprachstörung und einer Halbseitenschwäche. Der Sachverständige stellte fest, dass es spätestens zwei Tage nach stationärer Aufnahme geboten gewesen sei, den CrP-Wert zu kontrollieren, was den Hinweis erbracht hätte, dass die Infektion „unzureichend im Griff sei“, indem ein erheblicher Anstieg des CrPs festgestellt worden wäre. In der Folge hätte man entweder die antibiotische Therapie umgestellt oder weitere Untersuchungen durchgeführt, um die Situation im Halsschwellungsbereich abzuklären. Es wäre dann zwar bei einer schweren Infektion geblieben, die Bildung eines Abszesses habe aber weitgehend verhindert werden können. Das Landgericht gab der Klage daraufhin in vollem Umfang statt, da die Verkennung der Infektionssituation fundamental und die Nichtreaktion hierauf grob fehlerhaft gewesen sei. Die Beklagten wiederholen demgegenüber in der Revision im Wesentlichen ihren Standpunkt, wonach Primärschaden lediglich der Abszess, nicht der hypoxische Hirnschaden sei, dem Kläger daher keine Beweislastumkehr zugute komme und er den Beweis der Ursächlichkeit des Behandlungsgeschehens auch für den Hirnschaden daher nicht erbracht habe. Der BGH wies die Revision in sämtlichen Punkten zurück. Somit hielt er an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Beweislastumkehr wegen des „Nichterhebens medizinisch gebotener Befunde“ fest. Außerdem hat er festgestellt, dass bei einem groben Behandlungsfehler für den Ursachenzusammenhang (Kausalität) zwischen dem festgestellten Behandlungsfehler und dem eingetretenen ersten Verletzungserfolg (sog. Primärschaden) entwickelten Grundsätze der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch bei einem Befunderhebungsfehler gelten.

Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.11.2013, Aktenzeichen VI ZR 527/12

22.10.2013 Höhere Zuzahlung bei vielen Arzneimittel-Packungen

Werden Arzneimittel, die in der verordneten Großpackung nicht lieferbar sind, in mehreren kleineren Packungen abgegeben, richtet sich die zu leistende Zuzahlung nicht nach Anzahl und Größe der ursprünglich verordneten Packungsgröße, sondern nach den tatsächlich abgegeben Packungen. In dem konkreten Fall war ein Arzneimittel in einer Großpackung (3x60 Stück) verschrieben worden. Die 3er-Packung des Arzneimittels war aber in der Apotheke nicht vorrätig und auch kurzfristig nicht über Pharmagroßhandel oder Hersteller lieferbar. Da der Versicherte das Medikament umgehend benötigte, gab die Apotheke anstelle der rezeptierten Packungsgröße drei Einzelpackungen à 60 Stück an den Versicherten ab. Im Ausgangsfall betrug der Apothekenabgabepreis für das Arzneimittel in der Großpackung 150,05 Euro und der Zuzahlungsbetrag für den Versicherten dementsprechend 10 Euro. Für die Einzelpackung betrug der Apothekenabgabepreis 56,62 Euro. Daraus errechnet sich ein Zuzahlungsbetrag von jeweils 5,66 Euro, für die drei abgegebenen Einzelpackungen also zusammen 16,98 Euro. Die Arzneimittelzuzahlung soll sich also nach der Anzahl und Größe der tatsächlich abgegeben Packungen richten und nicht nach der ursprünglich verordneten Packungsgröße. Die Höhe der Zuzahlung richtet sich nämlich nach dem "Abgabepreis" und das ist der Apothekenabgabepreis je tatsächlich abgegebener Packung. Die Vermeidung einer Belastung gesetzlich Versicherter, die dadurch entstehe, dass bei Arzneimittellieferschwierigkeiten ein erhöhter Zuzahlungsbetrag anfalle, könne nur durch den Gesetzgeber erfolgen.

Sozialgericht Aachen, Urteil vom 22.10.2013, Aktenzeichen S 13 KR 223/13

16.10.2013 Korruption im Gesundheitswesen

Niedergelassene Vertragsärzte sind weder als Amtsträger im Sinne von § 11 Absatz 1 Nummer 2c StGB noch als Beauftragte der gesetzlichen Krankenkassen im Sinne von § 299 StGB anzusehen. Damit wurde Klarheit darüber geschaffen, dass im Vertragsarztsystem Zuwendungen, die zur unlauteren Beeinflussung des Verordnungsverhaltens im Sinne einer wettbewerbsbezogenen Bevorzugung gefordert, angeboten und gewährt werden, weder der Vorteilsannahme noch dem Tatbestand der Bestechlichkeit oder Bestechung im geschäftlichen Verkehr unterfallen. Der Gesetzgeber ist daher zum Handeln gezwungen, wenn er diese Regelungslücke schließen möchte, denn die derzeitigen berufs- und sozialrechtlichen Vorschriften sind für eine effektive Bekämpfung der bestehenden Missstände nach Auffassung vieler nicht geeignet. Korruption ist weder auf einzelne Berufsgruppen, noch auf den öffentlichen Bereich des Gesundheitswesens beschränkt. Die Regelung des § 128 Abs. 3 SGB V beinhaltet weder eine wirksame Abschreckung, noch empfindliche Sanktionen. Auch ein möglicher Entzug der kassenärztlichen Zulassung gemäß § 95 Abs. 6 SGB V gestaltet sich unter der derzeitigen Rechtslage als schwierig. Denn durch die Straflosigkeit haben die zuständigen Zulassungsausschüsse nicht mehr die Möglichkeit, auf rechtskräftige Urteile oder Strafbefehle zurückzugreifen, um damit eine gröbliche Verletzung der vertragsärztlichen Pflichten zu begründen. Die Bundesländer Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern haben daher am 28.5.2013 einen Gesetzesantrag für ein Strafrechtsänderungsgesetz zur Bekämpfung der Korruption im Gesundheitswesen dem Bundesrat vorgelegt. Der Gesetzentwurf sieht die Schaffung eines neuen Straftatbestandes der Bestechlichkeit und Bestechung im Gesundheitswesen vor, der als § 299a Strafgesetzbuch (StGB) eingeführt werden soll. Für besonders schwere Fälle soll sogar durch die Ergänzung des § 100a Strafprozessordnung (StPO) die Telekommunikationsüberwachung entsprechend der bestehenden Regelung zu § 299 StGB zugelassen werden. Der neue Tatbestand des § 299a StGB ist unter anderem konkreter gefasst, als der § 299 StGB; so heißt es in Abs. 1: “Wer als Angehöriger eines Heilberufs, der für die Berufsausübung oder die Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert, im Zusammenhang mit der Ausübung dieses Berufs,…”. In § 299 Abs. 1 StGB hingegen heißt es lediglich: “Wer als Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes im geschäftlichen Verkehr…”. Durch die vorgeschlagene Erweiterung um die Tatbestandsvariante des “Beeinflussen-Lassens” in sonstiger, und damit wettbewerbsunabhängiger, unlauterer Weise, soll ein Schutz der Unabhängigkeit medizinischer Entscheidungen erreicht werden. Am 5. Juli 2013 hat der Bundesrat beschlossen, den Gesetzentwurf beim Deutschen Bundestag einzubringen. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzesentwurf so Realität wird, die Notwendigkeit einer Erwei- terung liegen auf der Hand; schließlich sollen jedes Jahr von den rund 1 Billion Euro, die für die Gesundheit in der EU ausgegeben werden, rund 5,6 % aufgrund von Fehlern, Betrug und Korruption verloren gehen.

30.09.2013 Schmerzensgeld nach Darmspiegelung

Ein Facharzt für Chirurgie schuldet einem Patienten 220.000 € Schmerzensgeld, weil er diesen über die Risiken einer Koloskopie (Darmspiegelung) unzureichend aufgeklärt hat. Nachdem sich der seinerzeit 48 Jahre alte Kläger wegen Blutungen im Stuhlgang beim beklagten Facharzt für Chirurgie in Bielefeld vorgestellt hatte, führte der Beklagte im November 2007 eine Koloskopie mit Polypenabtragung durch. In Folge dieses Eingriffs kam es zu schwerwiegenden Komplikationen, wie einer Darmperforation, die wenige Tage später notfallmäßig operiert werden musste. Der Kläger erlitt eine Bauchfellentzündung, musste sich weiteren Operationen unterziehen und über Monate intensiv-medizinisch behandelt werden. Er ist nunmehr frühberentet und zu 100% behindert, ihm musste ein künstlicher Darmausgang gelegt werden. U.a. mit der Begründung, er sei über das Risiko einer Koloskopie und über Behandlungsalternativen nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden, hat er vom Beklagten Schadensersatz verlangt. Das Gericht hat ihm Schadensersatz zugesprochen, u.a. 220.000 € Schmerzensgeld, dessen Höhe durch den komplikationsträchtigen Krankheitsverlauf mit einer langen Behandlungszeit und bleibenden Beeinträchtigungen, die schließlich zu einer Frühberentung geführt hätten, gerechtfertigt sei. Der Arzt hafte, weil davon auszugehen sei, dass er den Kläger ohne ausreichende Aufklärung behandelt habe. Nach der Einschätzung des im Verfahren gehörten medizinischen Sachverständigen sei eine im Rahmen einer Koloskopie auftretende Darmperforation zwar eine seltene Komplikation. Trete sie jedoch ein, hätte sie überwiegend eine Bauchhöhlenentzündung zur Folge, die lebensbedrohlich sein könne und operativ behandelt werden müsse. Deswegen sei über das Risiko einer Perforation aufzuklären. Dass der Beklagte den Kläger ordnungsgemäß aufgeklärt habe, könne der Senat nicht feststellen. Der Inhalt der vom Kläger unterzeichneten Einverständniserklärung lasse nicht auf eine ausreichende Risikoaufklärung schließen. Nach dem vorgedruckten Teil der Erklärung sei u.a. auf „die mit dem Eingriff verbundenen unvermeidbaren nachteiligen Folgen, mögliche Risiken und Komplikationsgefahren" hingewiesen worden. Diese allgemein gehaltene Erklärung sei weithin inhaltslos und wirke mit dem Hinweis auf „unvermeidbare nachteilige Folgen" verharmlosend. Ihr sei nicht zu entnehmen, dass die Erklärung vom Patienten gelesen, von ihm verstanden oder mit ihm erörtert worden sei. Ausgehändigte und vom Patienten unterzeichnete Formulare und Merkblätter ersetzten nicht das erforderliche Aufklärungsgespräch. Zudem ließen sie nicht erkennen, dass ein Patient über ein in der Erklärung nicht ausdrücklich erwähntes Risiko informiert worden sei. Eine hinreichende Aufklärung des Klägers sei auch mit der Aussage der Arzthelferin des Beklagten nicht bewiesen worden. Von einer mutmaßlichen Einwilligung des Klägers sei ebenfalls nicht auszugehen. Der Kläger habe plausible Gründe dafür vorgetragen, dass er sich die Sache im Falle einer ordnungsgemäßen Aufklärung noch einmal überlegt, mit einem anderen Arzt oder Verwandten besprochen oder auch eine andere Klinik aufgesucht hätte.

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 03.09.2013, Aktenzeichen 26 U 85/12

05.02.2013 Krankenkasse zahlt Fettabsaugung

Ist eine stationäre Fettabsaugung medizinisch notwendig, kann sich die Krankenkasse nicht darauf berufen, dass der Gemeinsame Bundesausschuss diese Behandlungsmethode nicht in Richtlinien empfohlen hat. Im zugrunde liegenden Falle litt eine 29-jährige Frau an Armen, Beinen und Gesäß an einer schmerzhaften Fettgewebsvermehrung, einem sogenannten Lipödem. Sie beantragte bei ihrer Krankenkasse die Kostenübernahme für eine Fettabsaugung (Liposuktion). Die Krankenkasse verwies darauf, dass die konservativen Therapiemöglichkeiten wie z.B. Gewichtsreduktion und Lymphdrainagen noch nicht ausgeschöpft seien. Die Frau war hingegen der Ansicht, dass die bei ihr vorliegende Form des Lipödems II. Grades nicht durch Gewichtsreduktion verringert werden könne. Ferner würden Lymphdrainage wie auch Kompressionsstrümpfe lediglich eine temporäre Linderung bewirken. Das Hessische Landessozialgericht verurteilte die Krankenkasse dazu, die Kosten der stationären Liposuktion zu tragen. Die Klägerin habe eine deutlich bauchige Oberarmsilhouette sowie einen Oberschenkelumfang von 80 cm. Bei der erheblichen Fettmenge sei eine stationäre Behandlung notwendig. Dies ergebe sich aus den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Ästhetische Chirurgie zur Liposuktion, die für die Abgrenzung zwischen ambulanter und stationärer Behandlungsbedürftigkeit heranzuziehen seien. Danach könne im ambulanten Bereich maximal 2 Liter reines Fettgewebe abgesaugt werden. Bei der Klägerin seien hingegen 3 bis 4 Liter Fettmasse pro Behandlung zu entfernen. Es sei unbeachtlich, dass der Gemeinsame Bundesausschuss die Liposuktion nicht positiv bewertet habe. Denn dies sei nur für ambulante Behandlungen erforderlich, da insoweit hinsichtlich neuer Behandlungsmethoden ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt gelte. Für den stationären Bereich seien solche Behandlungsmethoden auf Kosten der Krankenkassen hingegen nur dann ausgeschlossen, wenn eine negative Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses vorliege. Dies sei hinsichtlich der Liposuktion nicht der Fall. Auch habe die Klägerin die konservativen Behandlungsmethoden ausgeschöpft. Dass eine Gewichtsreduktion die lipödem-typischen Fettansammlungen beeinflussen könne, sei wissenschaftlich nicht gesichert.

Landessozialamt Hessen, Urteil vom 05.02.2013, Aktenzeichen L 1 KR 391/12

14.01.2013 Ungefragte Benennung eines Hilfsmittelerbringers

Nach § 32 Abs. 2 Berufsordnung der Ärztinnen und Ärzte Schleswig-Holstein (BOÄ S-H) darf ein Arzt nicht ohne hinreichenden Grund seinen Patientinnen und Patienten bestimmte Hilfsmittelerbringer empfehlen oder an diese verweisen. Ein HNO-Arzt aus Schleswig-Holstein handelte demnach wettbewerbswidrig, als er einem Patienten, ohne dass dieser nach einer Empfehlung gefragt hätte und ohne dass es hierfür einen besonderen Grund gegeben hätte, zwei Hörgeräteakustiker in der räumlichen Nähe der Arztpraxis benannte.

Oberlandesgericht Schleswig, Entscheidung vom 14.1.2013, Aktenzeichen 6 U 16/11

22.08.2012 Aufklärungspflicht eines (Zahn-)Arztes

Ein (Zahn-)Arzt muss seinen Patienten vor einer Operation umfassend und sachgemäß auch über ein seltenes, den Patienten aber erheblich beeinträchtigendes Risiko, wie beispielsweise eine dauerhafte Nervenschädigung, des Eingriffs aufklären. Der bloße Hinweis “Nervschädigung” in einem schriftlichen Aufklärungsformular ist dabei ohne weitere Erläuterungen im Aufklärungsgespräch unzureichend und genügt diesen Anforderungen nicht.

Oberlandesgericht Koblenz, Entscheidung vom 22.8.2012, Aktenzeichen 5 U 496/12

20.06.2012 Medizinische Befunde für Berufsunfähigkeit

Bei einer Krankentagegeldversicherung kann sich der Versicherer nicht nur auf solche medizinischen Befunde stützen, die er vor seiner Behauptung der Berufsunfähigkeit beigezogen hat, sondern rückschauend auf alle Untersuchungsergebnisse, die für einen bestimmten Zeitpunkt aus der Sicht ex ante den Eintritt von Berufsunfähigkeit des Versicherungsnehmers begründen.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.6.2012, Aktenzeichen IV ZR 141/11

20.06.2012 Regelmäßige Weiterbildung des Facharztes

Ein Arzt ist verpflichtet, sich auf seinem Fachgebiet regelmäßig weiterzubilden. Wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse, die in einer führenden Fachzeitschrift veröffentlicht werden, muss er zeitnah im Berufsalltag umsetzten. Versäumt er diese Pflicht, kann dies zu einem groben Behandlungsfehler führen und einen Schmerzensgeldanspruch des Patienten auslösen. Im der Entscheidung zugrunde liegenden Falle hatte sich die damals 46-jährige Klägerin im März 2005 in einem Mainzer Krankenhaus einem gynäkologischen Eingriff unterziehen müssen. Vor der Operation hatte sie darauf hingewiesen, dass sie die üblichen Narkosemittel nicht vertrage. Infolge der Intubationsnarkose litt sie im Anschluss an die Operation drei Tage an heftiger Übelkeit mit Erbrechen. Wegen dieser und anderer Operationsfolgen klagte sie gegen das Krankenhaus und den operierenden Arzt auf Schmerzensgeld. Das Landgericht Mainz wies die Klage ab, die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil hatte nun gegenüber dem Krankenhaus in einem Punkt Erfolg. Der Senat konnte zwar weder einen Aufklärungsfehler noch einen Behandlungsfehler bei der konkreten Operation feststellen. Die Klage gegen den operierenden Arzt wurde daher auch vom Oberlandesgericht abgewiesen. Die Richter führen in ihrer Entscheidung jedoch aus, die Anästhesie sei nicht mit der erforderlichen Sorgfalt durchgeführt worden, daher hafte das ebenfalls beklagte Krankenhaus auf Schmerzensgeld. Wegen der bekannten Überempfindlichkeit gegen die üblichen Narkosemittel hätte der Klägerin ein weiteres, die Übelkeit minderndes oder gar völlig unterdrückendes Medikament verabreicht werden müssen. Dass dieser Wirkstoff die Beschwerden lindere, sei mit wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen bereits im Jahre 2004 in einer anerkannten Fachzeitschrift veröffentlicht worden. Dem Anästhesisten hätte daher im März 2005 bekannt sein müssen, dass die Gabe eines dritten Medikaments erforderlich gewesen sei. Die Zeitspanne zwischen Publikation und Operation sei so lang, dass das Versäumnis als grober Behandlungsfehler zu werten sei. Demnach hätte das Krankenhaus nachweisen müssen, dass die Übelkeit auch mit dem Medikament eingetreten wäre. Da dieser Nachweis nicht geführt wurde, verurteilte der Senat das Krankenhaus zur Zahlung des Schmerzensgeldes.

Oberlandesgerichts Koblenz, Urteil vom 20. Juni 2012, Aktenzeichen 5 U 1450/11

19.06.2012 Beweislastumkehr bei Behandlungsfehler

Die Umkehr der Beweislast im Falle eines groben Behandlungsfehlers hat ihren Grund darin, dass das Spektrum der für den Misserfolg der ärztlichen Behandlung in Betracht kommenden Ursachen gerade wegen der elementaren Bedeutung des Fehlers in besonderem Maße verbreitert bzw. verschoben worden ist. Es entspricht deshalb der Billigkeit, die durch den Fehler in das Geschehen hineingetragene Aufklärungserschwernis nicht dem Geschädigten anzulasten. Für die Billigkeitserwägungen bleibt dann kein Raum, wenn feststeht, dass nicht die dem Arzt zum groben Fehler gereichende Verkennung eines Risikos schadensursächlich geworden ist, sondern allenfalls ein in derselben Behandlungsentscheidung zum Ausdruck gekommener, aber nicht schwerwiegender Verstoß gegen weitere ärztliche Sorgfaltspflichten.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.06.2012, Aktenzeichen VI ZR 77/11

29.03.2012 Keine Strafbarkeit von Kassenärzten

Kassenärzte, die von einem Pharma-Unternehmen Vorteile als Gegenleistung für die Verordnung von Arzneimitteln dieses Unternehmens entgegennehmen, machen sich nicht wegen Bestechlichkeit nach § 332 StGB strafbar. Auch eine Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr nach § 299 Abs. 1 StGB scheidet aus. Nach langen Monaten der Unsicherheit sowohl der betroffenen Ärzte und sonstigen Beteiligten des Gesundheitswesens als auch der Staatsanwaltschaften veröffentlichte der Bundesgerichtshof am Freitag seine Entscheidung und sorgte somit für Rechtssicherheit: Ärzte können nicht wegen Bestechlichkeit strafbar sein. Der BGH kommt nach Prüfung der aktuellen Gesetzeslage zu dem Ergebnis, dass niedergelassene Vertragsärzte weder als Amtsträger zu betrachten sind noch als Beauftragte der Krankenkassen handeln, wenn sie ihren Patienten Medikamente verschreiben. Die gesetzlichen Krankenkassen seien zwar Stellen öffentlicher Verwaltung im Sinne der gesetzlichen Amtsträgerdefinition. Der freiberuflich tätige Kassenarzt aber sei weder Angestellter noch Funktionsträger einer öffentlichen Behörde. Vielmehr werde er durch den Versicherten ausgewählt. Die Verordnung eines Arzneimittels vollziehe sich im Rahmen der ärztlichen Behandlung dieses Patienten, einem personal geprägten Vertrauensverhältnis zwischen dem Patienten und seinem Arzt. Die Einbindung des Kassenarztes in das System öffentlich gelenkter Daseinsfürsorge verleihe der ärztlichen Tätigkeit nicht den Charakter hoheitlich gesteuerter Verwaltungsausübung, so dass er kein Amtsträger sein könne. Der Bundesgerichtshof wies zudem darauf hin, dass er nur zu entscheiden hatte, ob korruptives Verhalten von Kassenärzten und Mitarbeitern von Pharmaunternehmen nach dem geltenden Strafrecht strafbar ist. Darüber zu befinden, ob die Korruption im Gesundheitswesen strafwürdig ist und durch Schaffung entsprechender Straftatbestände eine effektive strafrechtliche Ahndung ermöglicht werden soll, sei Aufgabe des Gesetzgebers.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.03.2012, Aktenzeichen GSSt 2/11

30.01.2012 Eigendiagnose von sachkundigem Patienten

Auch wenn ein selbstbewusst und sachkundig auftretender Patient eine laienhafte Eigendiagnose stellt, muss ein Arzt diese kritisch betrachten und den Patienten sorgfältig und medizinisch umfassend befragen. Wird aufgrund einer unzureichenden Anamnese die sonst zweifelsfrei erforderliche Hinzuziehung eines anderen Facharztes unterlassen, haftet der erstbehandelnde Arzt den Hinterbliebenen auf Schadensersatz.

Oberlandesgericht Koblenz, Beschluss vom 30.01.2012, Aktenzeichen 5 U 857/11

17.08.2011 Mindestmenge für Knieprothesen unwirksam

Das Landessozialgericht Potsdam hat die Geltung einer Mindestmenge von 50 Behandlungsfällen in der Versorgung mit Kniegelenk-Totalendoprothesen ("künstliches Kniegelenk") für unwirksam erklärt. Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hatte eine Mindestmenge von 50 Behandlungsfällen pro Krankenhaus und Kalenderjahr für Kniegelenk-Totalendoprothesen eingeführt. Hiergegen hatte eine Brandenburger Klinik geklagt. Zur Begründung führte die Klinik an, sie sei nicht in der Lage, die Leistung durch qualifizierte Spezialisten zu erbringen und dürfe durch die Mindestmengenregelung nicht daran gehindert werden, diesen Eingriff anzubieten.

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.08.2011, Aktenzeichen L 7 KA 77/08

10.08.2011 Praxisgebühr und Notfallvergütung

Die Krankenversicherung kann dann, wenn sich aus der Abrechnung ergibt, dass ein Leistungserbringer in einem Quartal in mindestens 10% der Behandlungsfälle, in denen die Zuzahlung nach § 28 IV Sozialgestezbuch V zu erheben ist, die Zuzahlung nicht erhoben hat, die Differenz zwischen einzubehaltender und einbehaltener Zuzahlung zurückbehalten. Diese Regelungen sind auf ein Krankenhaus anwendbar, wenn es an der ambulanten Notfallversorgung der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt.

Sozialgericht Berlin, Urteil vom 10.08.2011, Aktenzeichen S 71 KA 62/10 und Sozialgericht Berlin, Urteil vom 12.10.2011, Aktenzeichen S 83 KA 395/10

18.07.2011 Kein Anfechtungsrecht des Vertragsarztes

Zur Entscheidung über Streitverfahren, die Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Leistungen betreffend, sind die Kammern für Krankenversicherungsrecht zuständig. Es handelt sich nicht um Streitigkeiten des Vertragsarztrechts.

Sozialgericht für das Saarland, Urteil vom 18.07.2011, Aktenzeichen S 1 KR 325/10

17.03.2011 Airflow- Zahnreinigung

Es galt die Strafbarkeit einer „selbständigen Zahnkosmetikerin“ zu beurteilen. Die gelernte zahnmedizinische Fachassistentin führte in ihrem Zahnkosmetikstudio Behandlungen mit einem sogenannten Airflow-Pulverstrahlgerät in dem Wissen durch, nicht zur Ausübung der Zahnheilkunde berechtigt zu sein. Das Arbeitsgericht unterstellt das Airflow-Verfahren- also Zahnreinigungen- und somit einen großen Bereich der zahnkosmetischen Behandlungen dem zahnärztlichen Vorbehalt. Es stellt klar, dass der Zahnarztvorbehalt dem Schutz des Patienten dient.

Arbeitsgericht Nürtingen, Urteil vom 17.03.2011, Aktenzeichen 16 Cs 115 Js 93733/08

14.02.2011 Skonto auf Privatrezepte unzulässig

Das Landgericht Tübingen hat einem Apotheker untersagt, in seinem Kundenmagazin unter der Rubrik „Ihr Plus bei uns“ zu bewerben, dass er, neben anderen Vergünstigungen, 3% Skonto auf Privatrezepte oder auf Rezeptgebühren erlasse. Der Apotheker war der Auffassung, Skonti seien keine Rabatte, sondern eine Vergütung für sofortige Bezahlung. Das Gericht teilte die Auffassung der klagenden Wettbewerbszentrale, dass die Skonto-Gewährung gegen die Preisbindung für Arzneimittel und damit gegen das Wettbewerbsrecht verstoße. Jeder Eingriff in das für alle Apotheken vorgegebene Preisgefüge sei unzulässig, die Vorschriften des Arzneimittelgesetzes dürften nicht unterlaufen werden.

Landgericht Tübingen, Urteil vom 14.02.2011, Aktenzeichen 20 O 47/09

10.02.2011 Anfahrtsdauer eines Belegarztes

Der Bundesgerichtshof entscheid unlängst, dass ein Belegarzt unter normalen Umständen von seiner Wohnung aus seine Belegabteilung in maximal 30 Minuten zu erreichen in der Lage sein muss, um eine Zulassung als Belegarzt zu erhalten. Damit folgt der BGH den Überlegungen des Landessozialgericht Schleswig-Holstein. Die Auffassung des Landessozialgerichts Baden-Würtemberg, welches eine Fahrtzeit von 40 Minuten für noch ausreichend hielt, ist damit als nicht mehr aktuell anzusehen. Somit sollte bei der Neugründung oder dem Umzug von Praxen der Standortfaktor mit einkalkuliert werden.

Bundesgerichtshof, Urteil vom 10.02.2011, Aktenzeichen III ZR 310/09